23. Juli 2025 | Franziska Widmer
Die Katze meiner Nachbarn wartet regelmässig auf mich vor der Haustüre oder schaut durchs Terrassenfenster hinein. Sie erwartet dann, dass sie ausgiebig gestreichelt wird. Und dieses «Recht» verteidigt sie wortwörtlich mit Zähnen und Krallen. Wehe den anderen Katzen, die es auch nur wagen, in meine Richtung zu schauen…
So holt sie sich ihren «Schmus» ab, rekelt sich und geniesst es in vollen Zügen. Das dauert aber nur so lange, wie ich in Gedanken bei ihr bin. Mir ist aufgefallen, wenn ich gedanklich abschweife oder mit jemandem spreche, steht sie bald auf und läuft davon. Sie möchte ganz gesehen werden und die volle Aufmerksamkeit spüren. Ich kann ihr das nicht verübeln. Wenn ich ehrlich bin, mag ich es auch nicht, wenn jemand gleichzeitig an zwei Orten ist. Am Telefon ist das ganz übel, wenn die angerufene Person ständig nebenher noch mit jemand anders spricht.
In den ersten beiden Kapiteln der Bibel ist die Schöpfungsgeschichte in zwei Varianten. In Genesis 1,31 heisst es: «Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut.» Ich stelle mir diesen Blick vor: Voller Freude über das Geschaffene und erfüllt von Liebe. Auch wenn es Menschen gibt wie Sand am Meer, sieht Gott jeden einzelnen von uns.
Und wie schaue ich zurück? Getraue ich mich zurückzuschauen? Verstumme ich demütig vor Gott? Da können durchaus Zweifel aufkommen. In Psalm 8,5 wird dieser Zweifel auch ausgedrückt «Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?» Selbst, wenn wir so klein sind wie ein Sandkorn, inmitten von anderen Sandkörnern, werden wir nicht nur gesehen, sondern haben unsere eigene Aufgabe. Darin liegt doch der Sinn unseres Daseins, dass wir mit all unseren Möglichkeiten versuchen, unsere Aufgabe zu erfüllen. So kann ein grosses Ganzes wachsen, sich entfalten und ein Paradiesgarten entstehen.
Ein Beitrag von:

Franziska Widmer
Pfarreiassistentin